Neujahrsbrief für 2022 von Frank Koren

Neujahrsbrief

Liebe Aikidoka!

2022 wird das Jahr des Tigers sein, wie uns Yamada Y. Sensei schreibt und wir können uns an seiner Dynamik, Eleganz und Effizienz ein Beispiel nehmen.

„Trainiere immer schwungvoll und fröhlich“

(O Sensei: Budo)

Worüber wollen wir nachdenken, am Beginn eines neuen Abschnitts? Wir könnten das alte Jahr Revue passieren lassen, um Freunde trauern, die uns verlassen haben, oder darüber sinnieren, dass wir nicht im gewohnten Umfang miteinander trainieren konnten. Irgendwie wirkt die aktuelle weltweite Herausforderung auch wie ein Vergrößerungsglas und bringt auf politischer und gesellschaftlicher Ebene Dinge zum Vorschein, die wir längst überwunden glaubten…wie hätte wohl unser Sensei darüber gedacht…?

Über all das zu sprechen, wäre sicherlich berechtigt, aber da ich gebeten wurde, ein paar Sätze zu schreiben, darf ich die Route wählen und kurz Euer Guide sein. Wir können nicht immer ausblenden, dass die uns durch die Pandemie aufgezwungene Trainings-Askese zäh ist, aber wir haben zu Recht Hoffnung, denn wir können uns in den kurzen Phasen des möglichen gemeinsamen Keikos, an der Basis und den Prinzipien des Aikido orientieren und wieder Kraft tanken. Steht nicht auch das Licht der Weihnacht für die Hoffnung auf einen Neubeginn?

Eine der Wegmarken (Prinzipien) des Aikido ist z.B. das Ideogramm Ma-ai. Es kombiniert auf wunderbare Weise unsere Begriffe für (Mond-)Licht, Raum, Zeit und Bewegung. Das Überbrücken von Distanz. Darüber möchte ich gerne ein paar Gedanken mit Euch teilen. Lasst uns aber vorausschicken, dass kein Prinzip des Aikido für sich alleine steht. Shisei, Kamae, Kiryoku, Seishin Jotai, Metsuke, Irimi, Tenkan, Kokyu…etc. Alle Teile stehen im Aikido in harmonischer Beziehung zueinander. Geist und Technik repräsentieren das Innen und das Außen unserer Arbeit im und auch außerhalb des Dojos.

So ist es auch beim Aspekt des Ma von Ma-ai. Er umfasst die Distanz zum Angreifer, die dynamisch ist, also Zeit und Raum gleichermaßen betrifft. Aber nicht nur das, er betrifft auch unsere Geisteshaltung: „Thus the ma aï doesn’t simply mean a notion of distance; you have to include the movement of the hearts in space. If I am afraid, space will seem to narrow, if I’ve got too much self-confidence, space will seem too large.” (Tamura N. Sensei).

Das Zeichen Ma steht symbolisch für das Tor und den Mond. „It means the moon perceived through the interstices of the closed gate.“ (Tamura N. Sensei). Katsu hayahi – So unmittelbar wie das Mondlicht durch den Türspalt fällt, so unmittelbar vereinigt sich im Aikido die Technik mit dem Angriff. Für dieses flexible Agieren sind ein gutes körperliches wie seelisches Gleichgewicht unumgänglich. Kein leichtes Unterfangen in dieser Zeit, oder?

Aber, O Sensei schreibt, dass in extremen Zeiten die ganze Welt ins Wanken geraten kann und, dass wir in solchen Situationen die Erfahrungen aus unserem Training, nämlich sich die vielen Angreifer als einen und den Einen als viele zu denken, zu Nutze machen können: „In solch kritischen Zeiten ist diese Art der Einheit von Geist und Technik essentiell – lass dein Herz nicht zittern…(die Technik des Budo)…muss angewandt werden, wie ein Sonnenstrahl der den Raum erfüllt, sobald sich die Türe einen Spalt breit öffnet.“ (O Sensei: Budo).

Das Ai in Ma-ai korrespondiert mit dem Ai in Aikido, verstanden als das, was zusammenführt und verbindet (Ki musubi), oder wie uns Tamura Sensei einmal gesagt hat: „Ma aï is thus, as you can deduce from what was written lately, the space that is born from the heart and the spirit at the same time, from yourself and the other, that embraces both of them in one constant evolution to the most advantageous position.” Jetzt ist mir auch klar geworden, warum ich dieses Thema gewählt habe, wohl geschuldet einer Zeit, in der oft das Trennende vor das Verbindende gestellt wird.

Durch ein freies Herz und ein stabiles Zentrum können sich Aikidoka an herausfordernde Situationen anpassen und diese formen. Leben wir schwungvoll und fröhlich, nutzen wir die Zeit der physischen Trennung durch Übungen die wir alleine machen können (Hitori-geiko) und lasst uns  unser Verständnis von Ma-ai und der anderen Aikido-Säulen wie Reigisaho und Nichijo No Taido etc. in unserem täglichen Leben entwickeln. Und freuen wir uns auf die Gelegenheiten, die uns wieder für gemeinsames Training gegeben werden…sind das nicht gute Vorhaben, die unsere Sinne schärfen und uns als Basis für Fortschritt und freudvolles Schaffen dienen können?

Ich wünsche Euch frohe Festtage und ein Gutes Jahr 2022!

Frank